Martin Unverdorben im Gespräch mit Tobias Schlichtmeier, Elektronik mit freundlicher Genehmigung des WEKA Verlages auch hier Blog zu lesen.
Als Produktmanager verantwortet Martin Unverdorben bei Kontron Computer-on-Module-Produktfamilien. Zudem ist er an der Standardisierung in den jeweiligen Gremien aktiv beteiligt. Im Interview erklärt er, warum Computermodule unverzichtbar sind und wie Entwickler das nötige Know-how erwerben.
Herr Unverdorben, Sie sind bei Kontron als Produktmanager verantwortlich für Computer-on-Module (CoM)-Produktfamilien. Diese zählen seit Jahren zu den Dauerbrennern, ohne die ein Embedded-Projekt nicht mehr denkbar ist. Warum ist das so?
Martin Unverdorben: Computer-on-Modules sind einer der besten Kompromisse beim Entwickeln eines neuen elektronischen Gerätes. Es gibt drei Möglichkeiten, den Kern des Geräts zu erstellen. Entweder mit einem Single-Board-Computer (SBC) oder Motherboard – hier nehme ich das Board aus der Schachtel, schließe alle Kabel an und verbaue es in ein Gehäuse. Allerdings fehlt hierbei die Möglichkeit, das Board funktional oder mechanisch anzupassen. Die zweite Möglichkeit ist ein Full Custom Design, das sich jedoch erst bei sehr hohen Stückzahlen rechnet – in industriellen Anwendungen ist das eher selten der Fall. Somit ist die dritte Möglichkeit gleichzeitig der perfekte Kompromiss: ein Computer-on-Module. Mit einem CoM erhalten Entwickler eine große Flexibilität – und das bereits bei Stückzahlen von einigen hundert bis 10.000 Stück.
Kontron setzt seit Jahren auf Computermodule nach Standard-Formfaktoren, war an der Standardisierung in den verschiedenen Gremien stark beteiligt. Warum, denken Sie, sind Standards proprietären Formfaktoren überlegen?
Als wir den ersten Standard für Computermodule entworfen haben, waren wir noch ein sehr kleines Unternehmen. Mit der Standardisierung änderte sich das. Denn mit unseren CoMs stellen wir das Herz eines elektronischen Gerätes dar – und das benötigt jeder Entwickler. Setzen Entwickler auf proprietäre Module, die sie lediglich von einer bestimmen Firma bekommen, ist das eine Single Source. Hiermit fehlt die Sicherheit. Gibt es die Firma nicht mehr, bekommt der Entwickler keinen Ersatz für sein Modul.
Auf der anderen Seite gewährleisten Standards, dass es mindestens eine Second Source gibt. Hiermit erreicht ein Entwickler eine höhere Lebenszeit der Geräte und kann immer auf ein Modul eines anderen Unternehmens wechseln – und das auf dem gleichen Carrier Board.
Gerade COM Express hat die letzte Dekade geprägt wie kein anderer Standard. Was ist das Besondere daran?
COM Express ist der aktuell älteste Standard auf dem Markt – der Vorgänger ETX ist gerade am Verschwinden. COM Express deckt eine sehr große Bandbreite an Leistungsklassen ab – von Intels Atom- über Core-i-Prozessoren bis hin zu Prozessoren der Serverklasse bei COM Express Type 7. Da es COM Express bereits seit 2005 gibt, ist es der am weitesten verbreitete Standard.
Kommen wir zu den neueren Standards. Gerade COM-HPC und Open Standard Module (OSM) sind sehr beliebt. Denken Sie, COM-HPC kann auf Dauer COM Express ablösen und wie ist die Situation bei OSM?
Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich die Aufgabe von COM-HPC ist, COM Express abzulösen. COM-HPC sollte eher als Ergänzung zu COM Express verstanden werden. Der große Vorteil von COM-HPC ist, dass er die hohen Leistungsklassen erschließt.
Anders ist die Situation bei OSM, hier geht es genau in die andere Richtung. OSM wird in Teilen SMARC-Projekte ablösen, zum Beispiel im Bereich von kleinen Projekten auf Basis der Arm-Architektur, bei denen OSM besser passt. Das kann man nicht grundsätzlich annehmen, jedoch wird es gewisse Überschneidungen geben.
Worin liegt in Ihren Augen der Vorteil eines Auflötmoduls im Vergleich zu einem Steckmodul?
Ein Auflötmodul ist immer dann sinnvoll, wenn der Preis entscheidend ist, da Entwickler sich die teuren Steckerkosten sparen. Allerdings sind Entwicklung und Wartung mit einem Auflötmodul schwerer umsetzbar, da sich das Modul nicht einfach austauschen lässt. Ein Auflötmodul muss man immer aufwendig ablöten – oder noch schlimmer: das ganze Carrier Board austauschen.
Wenn Entwickler mit einem neuen Embedded-Projekt starten, jedoch nicht wissen, wie sie beginnen sollen. Was würden Sie ihnen raten? Welche Punkte sind vor dem Projektstart unbedingt zu klären?
Zunächst ist zu klären, welche Rechenleistung und welche Schnittstellen mein Gerät benötigt. Anschließend muss ich mir die Dokumentation der verschiedenen infrage kommenden Computer-on-Module-Standards ansehen. Für jeden Standard gibt es eine Spezifikation sowie einen Design Guide. In der Spezifikation ist der Standard elektrisch und mechanisch definiert, zudem ist erklärt, welche Möglichkeiten der Standard bietet. Der Design Guide erklärt, wie man ein Carrier Board entwirft. Zudem gibt es Schulungen, die solche Themen behandeln und bei denen Entwickler sich über die verschiedenen Standards informieren können.
Können sich Entwickler mit einer solchen Schulung das nötige Wissen für das Design eines Carrier Boards beziehungsweise eines Embedded-Produktes aneignen?
Selbstverständlich – zum Beispiel mit dem Besuch der Schulung: »Computer-on-Modules – from Selection to Carrier Board Design« im Zuge des WEKA Graduate Programs. Ziel der Schulung ist, Entwicklern und Entscheidern der Embedded-Branche die Möglichkeit zu geben, selbstständig zu entscheiden, mit welcher Möglichkeit sie am besten zum perfekten Ergebnis gelangen. Haben Entwickler bereits Computer-on-Modules für ihr Projekt im Auge, kann die Schulung bei der Entscheidung für das richtige Modul helfen. Außerdem lernen Entwickler, auf welche Dinge sie beim Design des Carrier Boards achten müssen.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Unverdorben.
Das Interview erschien am 31.03. auf elektroniknet.de
Sehen Sie hier auch das Interview von Martin Unverdorben im Gespräch mit Tobias Schlichtmeier, Elektronik, auf der VIP-Bühne powered by Markt&Technik, Elektronik und DESIGN&ELEKTRONIK auf der embedded world 2023 ➡️ https://youtu.be/RiD3uU8at3A
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