Neue Markenidentität bei Kontron: Computermodule bereit für die 5G- und KI-Strategie

Peter Müller ist Vice President Product Line Modules bei Kontron. Er erklärt die neue Strategie des Unternehmens und schätzt die sich hiermit ergebenden Chancen ein. Hierbei lässt er aktuelle Themen und Herausforderungen nicht aus – und gibt einen Ausblick auf die nächsten Aktivitäten der Gruppe.

 

Das Interview führte Tobias Schlichtmeier vom Weka Verlag, und wir danken dem Verlag für die Erlaubnis, den Beitrag hier veröffentlichen zu dürfen.

 

Herr Müller, im letzten Jahr hat Kontron seine Markenidentität angepasst und möchte als Experte für IoT-Applikationen auftreten. Was bedeutet das für die Strategie des Unternehmens?

Peter Müller: Vereinfacht gesagt bündeln wir ab sofort die Kompetenz der gesamten Kontron-Gruppe auf den IoT-Markt. Auf der anderen Seite verzichten wir gänzlich auf den Bereich IT- und SAP-Dienstleistungen, haben die Sparte veräußert. Aus dem Grund konnten wir einen hohen Cash-Flow generieren und mit dem Geld IoT-Geschäftsfelder stärken, zum Beispiel die Bereiche 5G oder künstliche Intelligenz (KI). Zudem setzen wir auf Mergers and Acquisitions (M&A), um neue Technologie-Kompetenzen aufzubauen. Wir weiten außerdem unser Geschäft mit CPU-basierter Hardware auf die Bereiche Konnektivität und KI aus und fokussieren uns auf margenstarke Segmente in der Industrie, Medizin sowie Transportation oder Luftfahrt.

 

Welche Folgen hat das für den Geschäftsbereich der Embedded-Computermodule?

Wenig, da wir ganz einfach der Kontron-Strategie folgen. Wir möchten unseren Kunden weiterhin unser umfangreiches Portfolio an Computermodulen und Prozessoren bieten und einen Mehrwert generieren, einerseits bei der Time to Market, andererseits bei den Integrationsmöglichkeiten. Gerade für den 5G-Bereich ermöglichen wir eine erhöhte Konnektivität auf den Modulen; zum Beispiel bereiten wir Frameworks dafür vor. Beim Thema KI integrieren wir verstärkt KI-Chips von Hailo in unsere Produkte.

 

Das zweite große Thema im Bereich der Computermodule ist ein stärkerer Fokus auf Deep-Rugged-Applikationen in den Bereichen Transportation, Luftfahrt und Verteidigung. Hier liegt der Fokus meist auf gelöteten Bauteilen, einem sehr großen Temperaturbereich – und das auf einem kleinen Formfaktor. Das Ganze soll möglichst im Einklang mit Standards passieren, beispielsweise COM Express, COM-HPC oder SMARC.

 

Kontron hat das erste Quartal mit Rekordzahlen abgeschlossen. Ist hier die neue Strategie bereits sichtbar?

Ja, im Endeffekt ist das bereits ein Zeichen der Strategieänderung bei Kontron, allen voran der stärkere Fokus auf das Wachstumssegment IoT. Positiv wirkt sich ebenfalls die Veräußerung des IT- und SAP-Geschäfts aus. Außerdem sehen wir ein starkes Wachstum im Transportation-Segment; speziell die Niederlassung in Frankreich hat viel zum Umsatz beigetragen.

 

Wie sieht die Strategie von Kontron für die nächsten fünf Jahre aus?

Kontron hält einerseits am Umsatzziel von 2 Mrd. Euro bis 2025 fest. Das wird nicht allein organisch zu erreichen sein, sondern ebenfalls durch M&A. Diese werden meist aus den Bereichen 5G und KI kommen. Folglich möchten wir unsere CPU-Module und Komponenten für 5G vorbereiten und mit KI-Funktionen ausstatten – und diese Kompetenz dem Kunden bereitstellen.

 

Mit dem neuen OSM-Standard erleben Auflötmodule gerade einen Boom. Setzen Sie ebenfalls auf OSM oder lieber auf eigene Standards?

Wir haben bereits Module im OSM-Formfaktor im Angebot, sie basieren auf der i.MX 8M Plus CPU von NXP Semiconductors. Zudem arbeiten wir an einer OSM-Roadmap, primär mit CPUs von NXP, zum Beispiel mit dem neuen i.MX93-Prozessor. Wir sehen bereits eine Nachfrage nach OSM-Modulen, erste Projekte setzen wir mittlerweile um. Allerdings stimmen wir uns intern derzeit ab, an welchem Punkt der Wertschöpfungskette wir Low-End-SMARC-Produkte positionieren und an welchem Punkt OSM-Module, damit keine Überschneidungen entstehen. Weiterhin bieten wir ebenso kundenspezifische Applikationen an, wenn ein Kunde das wünscht.

 

Auch die PICMG arbeitet fleißig an neuen Standards wie COM-HPC Mini oder ModBlox7. Wie schätzen Sie die Nachfrage nach diesen beiden Standards ein?

Ich bin zwar kein Experte für ModBlox7, schätze die Nachfrage aber gering ein. Ich denke, hier gibt es noch sehr viel Skepsis im Markt, ob der Standard wirklich nötig ist. Bei COM-HPC Mini sieht das anders aus, wir waren einer der Haupt-Initiatoren des Standards und sehen einen großen Bedarf. Er ist zwar derzeit noch nicht akut, das wird sich jedoch bald ändern. Es geht darum, bei einem möglichst kleinen Formfaktor im Rugged-Umfeld High-End-Leistung bereitzustellen. COM-HPC Mini ist nötig, wenn ein Entwickler PCIe-Gen-5-Schnittstellen benötigt, um hiermit zum Beispiel 10- oder 25-Gigabit-Ethernet abzubilden.

 

Welche Märkte sind für COM-HPC (Mini) am interessantesten?

Alle Märkte, die eine kleine, integrierte Bauweise benötigen oder beispielsweise der Rugged-Markt. Was wir zudem feststellen, ist eine hohe Nachfrage nach COM-HPC im Bereich Test and Measurement sowie in Server-Applikationen – das war der ursprüngliche Gedanke von COM-HPC. Inzwischen hat sich das auf weitere Märkte ausgeweitet.

 

Außerdem arbeiten wir derzeit an Produkten, die neben Intel ebenfalls andere CPUs integrieren. Module plattformübergreifend anbieten zu können ist für uns ein großer Ansporn. Details darf ich hierzu jedoch noch nicht preisgeben.

 

KI ist ein entscheidender Punkt der neuen Markenstrategie. Welche Applikationen bietet Kontron hierfür an und auf welcher Stufe der Wertschöpfungskette sind diese einzuordnen?

Wir bieten für KI keine fertigen Applikationen an, sondern liefern unseren Kunden die Basis, damit sie ihre eigenen Applikationen schneller abbilden können. Hierzu stellen wir ihnen die entsprechende Hardware bereit, mit entsprechendem Performance- oder KI-Support, der mit Intel-CPUs möglich ist. Möchten Entwickler die Applikation bei der Leistungsaufnahme optimieren, ist zum Beispiel Hailo eine gute Möglichkeit. Hier haben wir Referenzmodule geschaffen, zum Beispiel eine Hailo-M.2-Karte oder ein PicoITX-Modul mit Arm- oder Intel-Technik, bei denen Entwickler das Hailo-Modul nutzen können. Es bringt bei 2,5 W 26 Tera-FLOPS, das ist eine gute Performance zum Erzeugen von Inferenzen oder Ähnlichem.

 

Ohne Software keine KI-Applikation. Bauen Sie Know-how in dem Bereich auf oder kaufen Sie sich das Know-how zu?

Kontron möchte im KI-Bereich Kompetenzen aufbauen; aktuell ist es jedoch nicht geplant, KI-Software selbst bereitzustellen. Im Hardware-Bereich arbeiten wir verstärkt mit Hailo zusammen. Außerdem integrieren wir Produkte von Nvidia, jedoch lediglich als Vorab-Integration, zum Beispiel im »KISS«-Rack – einem Rack-Server-System. Viele Kunden arbeiten gerne mit Nvidia, da sie hiermit auch deren Entwicklerplattform Cuda nutzen können. Hierfür stellen wir die Hardware vollintegriert bereit; das Software-Framework erstellt der Kunde anschließend selbst. Was sich – abgesehen von Hailo und Nvidia – noch aus M&A ergeben wird, bleibt abzuwarten.

 

Wie sieht es mit funktionaler Sicherheit aus – ist das ein Thema, mit dem Sie sich beschäftigen?

Ja, das ist ein Thema, das uns sehr am Herzen liegt. Neben KI arbeiten wir derzeit stark an Produkten, die für funktionale Sicherheit ausgelegt sind. Es ist kein originäres Modulthema, jedoch ist es im Moment stark nachgefragt. Wir sehen, wie wichtig vielen Kunden vorbereitete Applikationen sind. Gerade mit Intel arbeiten wir vermehrt daran, »FuSa-ready«-Applikationen zu entwickeln.

 

Die SGET diskutiert derzeit einen Standard für FPGAs. Ist das für Kontron interessant?

Absolut, der Ansatz eines FPGA-Standards ist für uns sehr interessant. Wir entwickeln viel mit FPGAs, haben ein eigenes Team, das sich damit beschäftigt und integrieren sie sogar auf einigen CPU-Modulen, zum Beispiel zur Spannungsüberwachung. Viele Hersteller nutzen aktuell FPGAs, um eine eigene IP auf dem Standard-Modul zu gestalten. Das ist ein interessanter Ansatz, den wir beleuchten müssen. Primär geht es der SGET darum, den Core offenzulegen, CPU-Hersteller wie Intel möchten das jedoch nicht. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt.

 

In den letzten Jahren wurde viel über Allokationen gesprochen. Wie hat sich die Lage bei Kontron inzwischen entwickelt?

Die Allokation ist nicht komplett ausgestanden, die Situation hat sich jedoch definitiv verbessert. So konnten wir einerseits den Backlog abbauen, andererseits den Materialfluss wiederherstellen. Jedoch sind die Lieferzeiten einiger Komponenten immer noch länger als geplant; ich denke, diese Situation begleitet uns noch bis ins kommende Jahr.

 

Gibt es »Lessons Learned« aus der Allokationszeit, die sich jetzt positiv bemerkbar machen?

Ja, wir haben unser Obsolescence-Management weiter verbessert und zusätzliche Lieferanten für B- und C-Teile qualifiziert. Hier hatten wir viele Single Sources, das hat uns oft Schwierigkeiten bereitet. Allerdings ist der Schritt mit Aufwand und Kosten verbunden, da ich das Volumen einzelner Lieferanten reduziere, indem ich es aufteile. Aber wir sehen das als nötig und zielführend an. Ein zweiter Aspekt ist, dass wir uns viel intensiver mit B- und C-Teil-Lieferanten beschäftigen. Also engere Partnerschaften aufbauen sowie bessere Absprachen treffen, um solche Situationen zu vermeiden.

 

Haben Sie in den letzten beiden Jahren – wie viele Hersteller – ebenfalls Ihre Läger aufgestockt?

Ich möchte hier unterscheiden zwischen unserem Roh-Materiallager und dem Lager für fertige Baugruppen. Das Roh-Materiallager lief automatisch hoch, da oft lediglich ein oder zwei Bauteile fehlten – der Rest lag längst auf Lager. Weil wir im Moment den Backlog abbauen, bauen wir entsprechend auch die Lagerbestände mit ab.

 

Bei den fertigen Produkten ist es umgekehrt – hier hat sich unser Lagerbestand massiv reduziert, weil wir alle verfügbaren Baugruppen sofort ausgeliefert haben, der Bedarf im Markt war groß. Die Verfügbarkeit von fertigen Produkten erhöht sich jedoch langsam wieder, da wir wieder mehr fertigen können.

 

Haben Sie eine eigene Fertigung oder fertigt Kontron bei Auftragsfertigern?

Wir montieren in unseren Werken in Augsburg und Ismaning fertige Systeme, assemblieren dort zudem kundenspezifische Applikationen. Die Board-Produktion findet entweder bei externen Auftragsfertigern in Deutschland und Asien statt oder bei unseren eigenen Standorten in Österreich, Ungarn und Slowenien. Hiermit wollen wir den Trend abbilden, selbst fertigen zu können – und zwar in Europa. Speziell international, vor allem aus den USA, erhalten wir eine große Nachfrage nach europäisch gefertigten Modulen.

 

Der Fachkräftemangel ist spürbarer denn je. Haben Sie eine Strategie, um weiterhin qualifizierte Fachkräfte anzuwerben?

Unsere Personalabteilung arbeitet verstärkt an neuen Ideen, jedoch bleibt es schwer, gute Fachkräfte zu bekommen. Ich denke, als Kontron bieten wir viele Mehrwerte, die Bewerber positiv wahrnehmen. Zudem hilft uns das globale Setup; so haben wir ein R&D-Team in Malaysia und können Aufgaben weltweit verteilen und vieles kompensieren. Dennoch werben wir um lokale Leute, sind an Hochschulen sowie bereits an Schulen sehr präsent. Ich finde ebenfalls das Modell des dualen Studiums sehr interessant. Gerade in Ingenieurberufen ist das ein Modell der Zukunft.

 

 

Vielen Dank für das sehr interessante Interview!

Herzlichen Dank!

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